Sonderausstellung Werner Forster - Bieler Tagblatt 09.06.2018
Künstler, Lebenskünstler, Überlebenskünstler
Dem 96-jährigen, ehemaligen Schaufensterdekorateur Werner Forster wird in Erlach eine Ausstellung gewidmet. Forster hat während Jahrzehnten seine überschäumende Kreativität in vielen Formen ausgelebt - und einen schweren Bombenangriff überlebt.
Lotti Teuscher
Werner Forster hat sich mit dem Direktor der EPA Bern verkracht, was dem Schaufensterdekorateur die schlimmsten Stunden seines Lebens bescheren wird. Aber das weiss der Erlacher noch nicht, als ihn der erboste Direktor vor die Alternative stellt: Entweder, Forster nimmt eine Stelle im EPA-Warenhaus in Schaffhausen an oder er bekommt die Kündigung. Forster wählt das Erste.
Wände reissen, Fensterläden brennen
Am 1. April 1944 heulen um 11 Uhr in Schaffhausen die Sirenen – Fliegeralarm! Während alle versuchen, in Kellern Schutz zu finden, rennt Werner Forster in den vierten Stock und schaut durch die offene Dachlukarne zum Himmel.
Er hört ein Grollen, ein Donnern, er spürt eine Druckwelle. Foster sieht Flugzeuge, er beginnt zu zählen: eins, zwei, drei vier, er kommt bis 48: 48 US-Bomber rasen auf Schaffhausen zu. Einer zieht einen Kondensstreifen in Form eines Zapfenziehers hinter sich her. Es dröhnt, es knallt, Fenster splittern, Fetzen fliegen. Die Kriegsflugzeuge werfen Bomben ab, gefüllt mit flüssigem Teer – die Piloten glauben sich über Deutschland.
Forster springt die Treppe hinunter, an den Wänden tun sich Risse auf. Er rennt in die Dekorationsabteilung, dort brennen die Fensterläden.
Dank Kurzsichtigkeit Traumberuf gelernt
Werner Forster unterstreicht seine Erzählung mit Gesten, die Augen auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. 96-jährig ist er nun, 74 Jahre ist der Albtraum her. Heute sitzt er im Garten eines ehemaligen Bauernhauses in Erlach, hier ist er aufgewachsen. Dort, wo die Familie während der Weltkriege Gemüse pflanzte, eine Hostet hatte und eine Sau hielt, stehen jetzt Häuser. Vögel zwitschern, aus der Ferne ertönt der klagende Schrei einer Möwe. Forster nippt geniesserisch an einem Glas Weissen.
Das Kind Werner war ein Zeichner. Der Bub zeichnete immer, überall, selbst Aufsatzhefte verzierte er mit Zeichnungen. Sein Lehrer hatte eine Abneigung gegen ihn, Werner neigte zu Streichen. «Dennoch musste er mich wegen meinen Zeichnungen loben», sagt Werner Forster, Schalk im Gesicht. Eigentlich hätte der Bub Kaminfeger werden sollen, denn die Forsters waren eine Erlacher Kaminfeger-Dynastie. Gerettet hat ihn seine Kurzsichtigkeit: Ein Kaminfeger mit Brille war damals undenkbar.
«Ich brauchte einen kreativen Beruf», erzählt Forster. In Vevey absolvierte er die Schule für schöne Künste, fortan arbeitete er als Schaufensterdekorateur. Er sagt, er könne heute noch jede einzelne Dekoration visualisieren; eine ist ihm in besonders guter Erinnerung geblieben. Vielleicht auch deshalb, weil Werner Forster dem Direktor des Modehauses Louvre in Neuenburg einen Schreck einjagte – es macht ihm Spass, seine Mitmenschen auf skurrile Art auf die Schippe zu nehmen.
Item. Den Hintergrund der Kreation bildeten die drei Eidgenossen während des Rütlischwurs. Davor türmte der Dekorateur angekohlte Holzscheite zu einem Haufen auf. Im Haufen spendete eine Lampe rotes Licht, darunter befand sich ein Gebläse. Am Haufen befestigte Forster rote, gelbe und orange Streifen aus hauchdünnem Stoff. «Um Himmels willen, machen Sie sofort das Feuer im Schaufester aus», schrie der Direktor angesichts von Werner Forsters Arrangement.
Explodierender Hund und Adler auf Beutefang
Schaufensterdekorationen sind flüchtige Werke, vergängliche. Nicht so die Holzskulpturen, die Forster im Lauf vieler Jahre geschaffen hat, und die nun in einer Ausstellung gezeigt werden (siehe Infobox). Gnome, Frauen, ein Swissair-Flugzeug, ein Krebs, ein Feuer, Pferde, ein blutender Heiland, ein Auerhahn, ein explodierender Hund. Manche gfürchig, einzelne abstossend, die meisten ästhetisch, täuschend lebensecht, alle überraschend.
Werner Forster hat eine Gabe namens Pareidolie – eigentlich ein bekanntes Phänomen: Menschen sehen Figuren, wo keine sind; in Wolken, Felsen, in Putzlappen. Bei Forster scheint diese Gabe besonders ausgeprägt. Er sammelt knorriges Holz, befreit es von Rinde und Dreck, und arbeitet mit Kunstharzfarbe die Figuren heraus, die er darin entdeckt – ohne dem Holzstück etwas hinzuzufügen oder etwas zu entfernen.
Daraus entstehen Figuren wie der Fischadler auf Beutefang. Die Flügel ausgebreitet, die Beine mit den Krallen gestreckt, der Kopf mit dem scharfen Schnabel nach unten gereckt. Jedes Detail stimmt, und dennoch hat der pensionierte Dekorateur nur herausgearbeitet, was zuvor die Natur geschaffen hat.
Der heutige Berner und Heimweh-Erlacher ist zeit seines Lebens Zeichner geblieben. Eng verbunden mit seinem jüngeren Bruder Peter, hat Forster diesem Geburtstagskarten gezeichnet. Und dabei ein weiteres Talent genutzt: den Wortwitz. So zeichnete er seinen Bruder Peter als strahlenden Mann inmitten von Wappen – darunter schrieb Forster statt «Liberté et Patrie»: «Lieber Tee und Party».
Auf einer anderen Geburtstagskarte bekommt Bruder Peter Forster ein Kompliment von einer Blondine: «Du gsesch no guet us mit 79.» Visavis der Frau steht zwei Mal der Jubilar: einmal als junger Mann, so wie die Frau ihn sieht. Und als Greis – vermutlich so, wie der Bruder damals sich selber sah. Wer den Karten Zeit widmet, entdeckt Schalk, abgründige, erotische, manchmal philosophische Anspielungen.
Zwei Mal beim Klettern abgestürzt
Werner Forster hatte als junger Mann eine weitere herausragende Fähigkeit – er war talentiert darin, sich in Lebensgefahr zu bringen. Klettern ging er immer alleine. Zwei Mal glaubte er, einen guten Griff zu haben. Zwei Mal ist der schwere Griff ausgebrochen, ihm entgegengeflogen, der junge Kletterer stürzte ab. Schwein gehabt oder einen Schutzengel? «Glück», sagt Werner Forster bestimmt.
1. April 1944, Schaffhausen. Werner Forster flieht in den Keller. Im Dunkel weinende, schreiende, blutende Frauen, verwundet durch herumfliegende Splitter. Per Megafon werden alle Dienstpflichtigen aufgerufen, sich zu melden. Forster schlüpft in seine Uniform – Helm und Gasmaske hat er in Erlach gelassen.
Der Dekorateur rettet auf Befehl die Ware aus dem Schaufenster der EPA, danach brennt das Geschäft ab. Am Boden sieht er einen toten Papagei. Zwei Stockwerke höher steht eine blutende Frau am Fenster eines brennenden Hauses, sie ruft panisch nach ihrem Papagei.
Werner Forster hat bis heute alle Details präsent, so etwas vergesse man nie: «Die Emotionen waren riesengross.» Während des Angriffs sterben 45 Menschen. Forster hingegen hat keinen Kratzer – reines Glück.
Neuste Kreation: der Einwortbrief
Werner Forsters Leben ist eine Mischung aus Tragik, Komik, Abenteuer – und ungeheurer Kreativität. Seine letzte Erfindung: der Einwortbrief. Eine Rarität, die nur erhält, wer sich ein Kompliment des 96-Jährigen verdient.
Ausstellung in Erlach
•Ab dem 22. Juni werden Werner Forsters Werke im Schloss Erlach ausgestellt. Die Ausstellung ist integriert in das historische Museum.
•Gezeigt werden Holzskulpturen, realistische und verfremdete Zeichnungen der Altstadt von Erlach, Karikaturen und Geburtstagskarten.
•Die Ausstellung ist jeden Sonntag geöffnet von 14 bis 17 Uhr.
•Vernissage: 22. Juni, 14 Uhr, Finissage: 29. Juli, 14 Uhr.
Info: Anmeldungen Sonderführungen: 032 338 27 54
